Misako Shibata

Wir hören sie immer und sehen sie eigentlich nie: unsere Organistin, Frau Misako Shibata. Sie ist es gewohnt. "Ach nein, das ist doch nicht nötig“, ist ihre Reaktion auf die Frage, ob wir sie in einem "Portrait“ vorstellen dürfen. Und: "Ich war doch schon mal im Gemeindebrief.“ Stimmt, vor ein paar Jahren. Aber nicht so richtig. Deshalb möchte ich sie interviewen, mehr von ihr wissen. Aber das ist gar nicht so einfach. Fast nach jedem Satz meint sie, es sei doch schon genug. In den Blick zu kommen, aufzufallen, nein… Gerade das wollen wir hier, sie in den Blick rücken. Eine Frau, die seit über 20 Jahren bei uns (und in der japanischen Gemeinde) den Dienst der Organistin versieht. Die nie fehlt. Die sich als Nichtchristin im Kirchenjahr und in der Liturgie besser auskennt als manche Christen, sich immer viele Gedanken macht, welches Lied passen könnte.

 

 

Weil wir von "selbstverständlich“ reden: Beinahe selbstverständlich ist für uns schon, dass Frau Shibata uns immer mit einem Nachspiel erfreut. Wer sich in der Musik auskennt, bemerkt, dass sie auch das sorgfältig überlegt: etwas, was zum liturgischen Kontext passt, was die Feier abrundet.

Wie wird man Organistin? Nach ihrem Studium an der Musikhochschule Kunitachi ging Frau Shibata an die "Musikhochschule des Saarlandes“ in Saarbrücken. Zur Vorbereitung hatte sie Deutsch schon am Goetheinstitut hier in Tokyo gelernt, seit ihrem Studienaufenthalt beherrscht sie es fliessend, wie Sie sich in einem Gespräch mit ihr leicht überzeugen können. Nach vier Jahren Studium, hauptsächlich unter Prof. Andre Luy, Organist der Kathedrale von Lausanne und ebenfalls Professor der dortigen Musikhochschule, legte sie die "Konzertreifeprüfung“ ab.

 

Ihren Aufenthalt in Deutschland hat sie in guter und dankbarer Erinnerung: "Die Leute waren immer sehr nett und freundlich zu mir und haben mir sehr geholfen.“ Dass sie diese vier Jahre "kostenlos“ (sie meint, ohne Studiengebühren, in Wirklichkeit hat sie alles durch eigene Kosten getragen) in Deutschland studieren durfte, erfüllt sie immer noch mit Dankbarkeit. "Ich möchte durch meine Arbeit hier etwas davon zurückgeben.“

Was hat sie sonst noch gemacht während dieser Zeit? Reisen vielleicht, das Studentenleben genossen? Die Antwort kommt zögernd: "Meinen Professor in der Schweiz besucht…. ja, und Kunstmuseen… Auch darin erkennt man Frau Shibatas hohen kulturellen Anspruch und die Ernsthaftigkeit ihrer Studien. Es wäre ihr nicht eingefallen, die Zeit leichtfertig zu vertun.

 

Trotz dieser hohen Qualifikation war es nach ihrer Rückkehr nach Japan schwierig, eine gute Arbeitsmöglichkeit zu finden. Obwohl es im Verhältnis noch nicht so lange her ist, waren Pfeifenorgeln noch nicht so häufig, vor allem liess in den Kirchen die Akustik zu wünschen übrig. Es war, wie Frau Shibata feststellen musste, kein Vergleich mit dem Orgelklang in deutschen Kirchen.

Sie gab Klavierstunden für deutsche Kinder, und schliesslich fand sie ihre Aufgabe in Nakameguro, wo sie schon als Studentin Orgel gespielt hatte. Seither ist sie der Gemeinde St. Michael treu geblieben.

"Als ich hier als Organistin angefangen habe, fand gerade der Wechsel von P. Angelus zu P. Hamm statt.“ (P. Angelus, ein Franziskaner, war der erste langjährige Pfarrer der Gemeinde, seit P. Hamm ist sie sozusagen fest in der Hand der Jesuiten.) Frau Shibata hat so auch einen guten Teil Gemeindegeschichte miterlebt.

Ob ihr etwas aufgefallen ist an Veränderung, frage ich sie. "Der Generationswechsel. Früher waren die Gemeindemitglieder älter. Einige ältere Kinder kamen regelmässig mit ihren Eltern, kleine Kinder gab es kaum. Heute ist die Gemeinde viel jünger, es gibt viel mehr kleine Kinder, mehr Familien- und Kindergottesdienste mit vielen Kindern. Ich finde es gut, dass den Kindern alles so von klein auf kindgerecht nahegebracht wird. Es ist auch lebendiger geworden, und seit wir das weisse Buch haben, gibt es auch mehr fröhliche Lieder. Ich finde das sehr gut.

Auch die Kleidung hat sich verändert. Früher kamen die Männer noch in Anzug und Krawatte, die Frauen in Sonntagskleidern, mit Handtasche und Schuhen mit hohen Absätzen. Heute kommt man auch in Jeans. Aber das ist wohl ein allgemeines Phänomen.“

Soweit das Berufliche. Und die private Seite? Darüber ist noch schwerer Auskunft zu bekommen. "Nein, das brauchen Sie doch nicht zu schreiben… Nein, das ist doch nicht so wichtig…“ Wirklich nicht? In Tokyo geboren, ist Frau Shibata als einzige von drei Geschwistern in Tokyo geblieben. Schon seit ihrer Rückkehr aus Deutschland musste sie sich um ihre Mutter kümmern, deren Zustand sich allmählich immer mehr verschlechterte; vor fast drei Jahren starb die Mutter, von ihrer Tochter bis auf die allerletzte Zeit jahrelang liebevoll gepflegt. Nun kümmert sich Frau Shibata um ihren Vater, der ganz auf die Pflege seiner Tochter angewiesen ist.

Neben dieser Vollbeschäftigung bleibt wohl nicht viel Zeit, für ein Hobby z. B.? "Ein Hobby?“ Längeres Zögern. "Also, ich mag gern Kino. Nicht so sehr japanische Filme, eher europäische und asiatische, aber nicht die grossen und berühmten, sondern die Filme in kleinen Kinos, mehr experimentellen Film. Aber in letzter Zeit kann ich nicht so oft weg, deshalb leihe ich mir Videos und sehe sie mir zu Hause an.“

 

Nein, wichtig nimmt sich Frau Shibata nicht, und noch weniger macht sie sich wichtig. Aber für uns ist sie sehr wichtig, und wir wollen nicht vergessen, ihr das ab und zu auch einmal zu sagen und unseren Dank auszudrücken.

 

Honto ni domo arigato gozaimasu. Kongo mo yoroshiku onegaishimasu.

 

Barbara Peters, erschienen im November 2004.